Die liebe Verwandtschaft

 

Martha saß auf ihrem alten Ohrensessel am Fenster und sah in den trüben Novemberhimmel. Sie lebte allein, denn von den Männern ihrer Generation waren zu viele im Krieg gefallen.

Ihre ganze Verwandtschaft bestand aus ihrem Neffen Alfred und ihrer Nichte Nora.

Die beiden hatten es sich nicht nehmen lassen, heute zu Marthas 78. Geburtstag zu erscheinen. Der Nachmittag verlief genau so unerfreulich wie alle Besuche von Nora und Alfred. Beide zeigten sich außerordentlich besorgt. Sie ergriffen nämlich sofort wieder die Gelegenheit, ihrer Tante den Aufenthalt in einem Altersheim in den rosigsten Farben zu schildern. Sie würden Martha auch jede Woche besuchen und ihr schöne Sachen kaufen. Natürlich nur wenn sie das Geld der lieben Tante verwalten dürften.

Denn Martha besaß ein hübsches Sümmchen.

Wie immer bat Nora, die Tante möchte ihre Geschenke doch später auspacken. So könnte sie sich noch einmal an diesem Tag freuen.

Darum begann Martha also erst jetzt, die Mitbringsel von dem Geschenkpapier zu befreien. Unwillig betrachtete sie Alfreds Geschenk. Was sollte sie wohl mit einem Minirechner anfangen? Die winzigen Zahlen machten sich ja direkt über ihre alten Augen lustig.

Noras Geschenk gefiel ihr auch nicht besser. Ihre Nichte besaß ja noch nie viel Fantasie. Die Pralinen konnten Martha schon reizen. Doch sie vermutete, dass dieses Präsent nur dazu dienen sollte, ihr durch das angefressene Übergewicht das Leben zu verkürzen.

Martha pfiff auf solche Geschenke und warf sie in den Mülleimer.

Sie fühlte sich noch immer fit wie ein Turnschuh und verschwendete keinen Gedanken an ein Altersheim. Sie wusste Besseres mit sich und ihrem Geld anzufangen. Nach diesem Besuch wurde ihr nur zu deutlich bewusst, dass sie endlich handeln musste. Ihr Plan stand ja längst fest. Klammheimlich hatte sie alle Einzelheiten vorbereitet.

Seit ein paar Monaten besaß sie ein gemütliches Apartement auf Gran Canaria, im selben Haus wie ihre Freundin Charlotte. Sie brauchte sich nur noch hier abzusetzen.

In den nächsten Tagen ging sie gut gelaunt daran, ihre Angelegenheiten zu regeln. Sie erinnerte sich, dass unter ihr doch dieser nette junge Mann wohnte.

Sie klingelte also bei ihm und bat um seine Hilfe.

Der krempelte sofort die Ärmel hoch: „Na klar packe ich Ihnen die Kartons. Fangen wir doch gleich damit an.”

Nach getaner Arbeit und einer Kaffeepause ermunterte Martha ihn: „Und nun suchen Sie sich aus, was Ihnen gefällt. Ich muss ja sowieso alles weggeben.”

Der junge Mann stand völlig ratlos vor dieser Aufgabe. Schließlich bat er: „Darf ich meine Freundin anrufen? Sie kennt sich da viel besser aus.”

Ilona fiel Martha begeistert um den Hals. „Sie sind ein Schatz. Wir können einfach alles gebrauchen. Wir wollen uns doch in Zukunft näher auf die Pelle rücken.”

Martha lächelte fast überzeugend. „Ins Altersheim darf ich das nicht mitnehmen. Dahin geht man am besten mit leichtem Gepäck."

Nachdem das junge Paar auch noch ein paar Möbel abgestaubt hatte, sah die Wohnung ziemlich leer aus. Jetzt bestellte Martha den Spediteur, der ihre Kartons nach Spanien schaffen sollte.

 

Vom Flugplatz aus rief Martha ihre Nichte an: „Nora, meine Liebe, ich werde euren Rat befolgen. Ich ziehe mich noch heute in ein Altersheim zurück. Ich melde mich, wenn ich mich eingelebt habe. - Ihr habt euch ja immer so reizend um mich gekümmert. Da werdet ihr mir meine kleine Bitte nicht abschlagen? Löst doch meinen Haushalt auf. Ich habe dem Vermieter die Schlüssel und deine Adresse gegeben. Falls die Wohnung nicht bis zum Ersten geräumt ist, werdet ihr sicher die Miete für den nächsten Monat übernehmen? Ich danke Euch."

Nora stotterte: „Aber Tante - warum so hastig?"

Doch Martha ging schon mit schnellen Schritten zum richtigen Gate. Denn ihr Flug wurde gerade aufgerufen. Sie setzte sich zufrieden auf ihren Fensterplatz. Der Abschied fiel ihr nicht schwer...

Nora wählte sofort Alfreds Nummer, denn sie wollte nicht allein in die Wohnung der Tante gehen. Alfred führte sich manchmal direkt ekelhaft auf. Er traute ihr doch glatt zu, ein paar wertvolle Stücke vorher bei Seite zu schaffen.

Als Nora und Alfred Marthas Wohnung betraten, traf sie fast der Schlag. Die Türen der Schränke und Kommoden standen weit offen. Die leer geräumten Fächer und die fehlenden Möbel hoben nicht gerade ihre Stimmung.

Als Nora wieder Luft bekam, ging sie sofort auf  Alfred los. „Du wusstest schon alles und hast hier abgeräumt..”

Alfred hielt ihre Hände fest. „Lass das Geschrei! - Genauso gut kann ich sagen, du machst mir was vor.”

Nora kreischte: „Was fällt dir ein! Ich war es nicht.”

Sie fiel auf den wackeligen Stuhl, der mitten im Raum stand und begann zu weinen.

Alfred ging nervös hin und her. „Die alte Hexe hat uns reingelegt. Aber wir geben nicht auf. Wir klappern alle Altersheime ab.”

Doch sie fanden Martha nicht. Die liebe Tante meldete sich auch nicht mehr bei ihnen.

 

Es gibt viele Möglichkeiten, sich seiner Verwandtschaft zu entledigen.

Marthas Methode war ganz schön clever und - gänzlich unblutig.

 

 

Der Intensivkurs

 

Unser junger Pastor war gerade mal 33 Jahre alt, als er mit seiner Familie auf die Insel kam. Er war maßlos enttäuscht. Er hatte sich vorgestellt, hier mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Stattdessen bestand unsere Gemeinde hauptsächlich aus älteren Menschen, die hier überwintern wollten.

Seine Schüler aus dem Religionsunterricht und deren Eltern nahmen am Gemeindeleben nicht teil.

Vor seiner Abreise hatte der Pastor einen Intensivkurs in Spanisch absolviert. Er fühlte sich absolut sicher. Darum ging er auch allein zum Ausländeramt, um die Sache mit seinen Papieren zu regeln.

Als man ihn nicht besonders höflich behandelte, sagte er empört auf spanisch: „Ich bin der deutsche Pastor. – Soy el pastor aleman.“

Die Umstehenden konnten ihr Lachen nicht verkneifen.

Pastor aleman heißt hier nämlich der Schäferhund.

 

 

 

Neues Buch von Gisela Seeger-Ays


Sachen gibt’s…

ISBN: 9783839191477

 

 

Dieser Band enthält acht unwahrscheinliche Geschichten, die in der Zukunft so passieren könnten – oder auch schon heute?

Aktualisiert ( Donnerstag, den 07. Oktober 2010 um 12:33 Uhr )

 

Ruhe sanft!

Frau Braun ging zum Fenster und öffnete es. Gerade verließ ihre Nachbarin das Haus und hastete die Straße entlang.

Frau Braun beugte sich vor und rief: „Guten Tag Frau Weber, wollen Sie einen Spaziergang machen?“

Die kleine, weißhaarige Frau antwortete ernsthaft: „Nein, ich besuche meinen Mann Bruno, wie jeden Tag.“

Frau Braun drehte sich zu ihrem Mann um, der wie so oft die Zeitung studierte. „Stell' dir vor, diese Frau Weber geht jeden Tag zum Friedhof. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so an ihrem Mann hängt. Dabei behandelte sie dieser Kerl wirklich schäbig.“

Charlotte Weber war etwas außer Atem, als sie am Friedhof ankam. Zielstrebig ging sie eine breite Allee entlang und danach einen schmalen Weg zwischen zwei Grabreihen. Diesem folgte sie, bis eine große Hecke ihn versperrte. Hier lag Bruno. Dieser schöne Platz musste ihm einfach gefallen.

Der große Grabstein stand trutzig am Kopfende. Der Steinmetz hatte in schönen Buchstaben seinen Namen Bruno Weber hinein gemeißelt, den Geburts- und den Sterbetag. Der freie Raum darunter wartete auf ihren eigenen Namen. Ganz unten las man: Ruhe sanft.

Aktualisiert ( Freitag, den 01. Oktober 2010 um 13:55 Uhr )

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Das Seebegräbnis

Wir haben hier auf unserer Ferieninsel Gran Canaria einen netten Pastor, jung, dynamisch und voller Ideen. Eines Tages suchten ihn zwei Männer auf, offensichtlich Vater und Sohn.

Der Ältere, weit über 70, ergriff nach einigem Zögern das Wort. „Also wir stammen aus Hamburg. Wir kommen schon seit vierzig Jahren auf diese Insel. Vor wenigen Tagen starb nun meine Frau, die Berta. Ich musste ihr in die Hand versprechen, ihr ein Seebegräbnis auszurichten. Eigentlich soll ich ihre Asche ins Meer streuen. - Aber das bringe ich einfach nicht fertig. Es genügt doch sicher, wenn wir die Urne der See übergeben?"

Unser Pastor nickte zerstreut. Das Wort 'Seebegräbnis' faszinierte ihn nämlich sofort. Er liebte nichts mehr, als Planken unter den Füßen zu spüren.

Aber es gab da noch ein paar Fragen. „Kennen Sie denn jemand mit einem Boot?"

„Ja, der Besitzer von unserer Ferienanlage will mit uns auf's Meer fahren."

„Und wo befindet sich die Urne?"

 

Aktualisiert ( Mittwoch, den 15. September 2010 um 12:55 Uhr )

Das Seebegräbnis - hier geht es weiter

 
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