Sondermüll
Kurzgeschichte von Gisela Seeger-Ays
Adelheid Krause ging zu dem kleinen Müllcontainer an der nächsten Straßenecke. Diese Dinger hatten vor kurzem die Mülleimer in den Hausfluren oder Kellern verdrängt. Ein echter Gewinn, denn so fiel der Gestank in den Häusern weg und die Müllmänner sparten einen Arbeitsgang.
Adelheids Gedanken beschäftigten sich gerade mit Otto Nagel und dem endgültigen Aus ihrer heißen Connection. Gestern Abend forderte Otto wütend: „Nun entscheide dich endlich! Verlange ich denn zu viel, wenn ich mit meiner Geliebten zusammen in einer Wohnung leben will?“ Er sah sich geringschätzig in ihrer Behausung um. „Nicht gerade viel, was dir die Heimarbeit für die Computerfirma einbringt. Darauf kannst du doch leicht verzichten. Mir bedeutet es viel, dass ich dir vertrauen kann. So eine wildfremde Putze schnüffelt nur überall herum. Ich verstehe deine affige Hinhaltetaktik nicht. Ich verdiene doch wirklich genug für uns beide.“
Das stimmte ja auch. Er schmiss nur so mit seinem Geld herum. Ihr blieb zwar ein Rätsel, wie er mit der kleinen Klitsche, hochtrabend Autohaus genannt, so viel Kohle machen konnte. Er kaufte die Wagen, wie er sagte, spottbillig ein. Sein Freund Rudi Harms möbelte sie dann gekonnt wieder auf. Aber die Vehikel mussten ja auch erst einmal an den Mann oder die Frau gebracht werden.
Adelheid kämpfte wirklich mit sich. Bei der Aussicht auf das flotte Leben kriegte sie direkt weiche Knie. Außerdem sah Otto blendend aus - wie der Reklameheld aus der Werbung für ein Fitnesscenter. Und im Bett kam er auch richtig auf Touren. Aber das dumme Gefühl ließ sie nicht los, dass er eigentlich nur eine Rundumpflege wollte. Putzen, kochen, Händchen halten, wo blieb da ihre Selbständigkeit? Also sagte Adelheid gedehnt: „Warum hast du es plötzlich so eilig? Mir gefällt der jetzige Zustand mit zwei Wohnungen viel besser.“
Wütend knallte Otto seine Faust auf den Tisch. „Was bildest du dir ein, du dumme Gans. – Es laufen genug Weiber rum, die heiß darauf sind, ihre Klamotten bei mir abzuladen.“
Er verlor keine Zeit mit weiteren Argumenten, ging und schlug die Tür hinter sich zu. Adelheid blieb ziemlich bedrückt zurück. Vielleicht hatte sie gerade die Chance ihres Lebens verpasst.
Völlig von diesen Gedanken gestresst, schob sie den schweren Deckel des Müllcon-tainers nach hinten - und ließ ihn sofort wieder zufallen. Sie drehte jetzt wohl total ab. Sie hatte doch tatsächlich geglaubt, Otto säße da im Container und starrte sie an. So ein Blödsinn! Otto würde nie in eine solche Abfallkiste krabbeln, nur um die Leute zu erschrecken.
Ziemlich nervös schob sie den Deckel des Containers bis zum Anschlag zurück, so dass er polternd gegen die Rückwand krachte. Sie hatte sich nicht geirrt. Otto starrte sie wirklich an. Da im Container lag sein Kopf – in einer Plastiktüte. Sein ebenmäßiges Gesicht war wie im Krampf verzerrt, sein Mund stand halb offen, als wollte er anfangen, sie zu beschimpfen. Adelheid sah das Blut. Prompt drehte sich ihr der Magen um. Sie zitterte am ganzen Körper und klammerte sich an das Plastikgehäuse.
Endlich bekam sie Luft. Sie begann zu schreien... Sie schrie noch, als mehrere Männer versuchten ihre Finger von dem Müllcontainer zu lösen, um den Deckel zuzuschlagen. Einer der Männer besaß ein Handy und rief die Polizei. Als die Truppe eintraf, saß Adelheid auf dem Boden und heulte vor sich hin.
Man brachte sie zum Präsidium, gab ihr Kaffee und Schnaps und rief einen Arzt. Aber der Inhalt der Beruhigungsspritze reichte leider nicht aus, um Adelheid die endlosen Vernehmungen zu ersparen.
Der Kommissar hatte schnell die 'richtige‘ Theorie über den Tathergang bei der Hand. „Liebes Kind, wollen wir uns doch nichts vormachen. Sie lehnten es ab, zu diesem Otto Nagel zu ziehen. Das bedeutet ja wohl, dass es längst einen neuen Mann in Ihrem Leben gibt. Also raus mit der Sprache! Wie heißt der Kerl?
Adelheid verneinte verzweifelt. „Ich habe doch alles gesagt. Es gibt keinen anderen Mann.“
Doch der Kommissar wusste inzwischen schon mehr Einzelheiten. Natürlich existierte da ein Komplize. Jemand hatte nämlich Otto Nagels Wohnung total auseinandergenom- men, den Tresor geknackt und das Geld eingesackt. Dabei wurde der Kerl anscheinend von Otto Nagel gestört und tötete diesen ohne Skrupel. Anschließend entsorgte der Täter sein Opfer stückweise in verschiedenen Müllcontainern. Aber trotz intensiver Su- che in der ganzen Stadt fand man nur wenige Teile von Otto Nagels Körper.- Auf jeden Fall lohnte es sich, diese Adelheid Krause zu beschatten. Man ließ sie also laufen.
Adelheid kam sich vor wie in einem Horrorfilm. So etwas konnte einem doch nicht wirklich passieren? Otto zerstückelt! Ihr lief es immer wieder kalt über den Rücken. Vor allem als sie sich vorstellte, wie es ihr ergangen wäre, wenn sie schon bei Otto gewohnt hätte. – Schlimmstenfalls läge sie heute von der Müllabfuhr zerhäckselt auf irgendeiner Deponie. Sie schlief in dieser Nacht nur wenig. Immer wieder prüfte sie das Schloss an ihrer Wohnungstür und schob den Riegel vor. War sie überhaupt in ihrer eigenen Wohnung sicher? Am nächsten Morgen rief sie Ottos Kumpel Rudi Harms im Autohaus an. Vielleicht wusste er mehr.
Seine Stimme klang so merkwürdig, überhaupt nicht so vertraut wie sonst, eher als hätte er unheimliche Angst. Adelheid fragte unsicher: „Rudi ist im Laden alles in Ordnung? Ich muss mit dir reden.“
Er sagte heiser: „Das geht nicht.“ und legte auf.
Was war denn in den gefahren? So benahm sich doch kein richtiger Kumpel. Er musste doch wissen, dass sie Hilfe brauchte. Aber sie ließ sich nicht so einfach abwimmeln. Sie würde Rudi eben auf die Pelle rücken. Sie verließ ihre Wohnung und stieg in ihren Kleinwagen. Ihr fiel gar nicht auf, dass ihr ein grauer Wagen folgte.
Als sie sich dem Autohaus näherte, wurde sie immer unruhiger. Auf dem kleinen Parkplatz vor dem Laden keilten eine schwere Limousine und ein Lieferwagen Rudis Kleinwagen ein. Die Verkaufsobjekte standen ja meistens auf dem Hof hinter dem Haus oder im Verkaufsraum. Was bedeutete das?
Sie bemerkte den Typ erst, als er ihr die Arme verdrehte. Weglaufen ging nicht mehr. Der Kerl zischte sie an: „Na Puppe, bist wohl neugierig?“
Schon riss er die Tür auf, pfiff ein paar hässliche Töne und stieß sie in den Laden. Ein anderer Typ nahm sie genau so grob in Empfang und schubste sie durch den Raum bis vor den Tresen. Dabei rief er stolz: „Seht mal, wen ich hier habe! Die Tussi von diesem Otto. Das Bild von der konnte man doch heute in allen Zeitungen bewundern. Vielleicht weiß die was?“
Adelheid schrie empört. „Lassen Sie mich sofort los! Was fällt Ihnen ein!“ Der Kerl trat mit dem Fuß gegen ihre Waden. „Halt die Klappe, du Schlampe. Oder willst du, dass ich dir deine Visage mit einer Rasierklinge bearbeite?"
In diesem Augenblick bemerkte sie Rudi. Er lag zusammengeschnürt am Boden. Erst jetzt begriff sie das ganze Ausmaß der Gefahr. Und wenn sie ehrlich war, verdankte sie diesen Schlamassel ganz allein ihrer eigenen Dusseligkeit. Plötzlich meldete sich vom Tresen her ein fetter Kerl mit einer Havanna im Mund. „Die Schnepfe kommt mir gerade recht. Nehmt ihr ihren Hausschlüssel ab. Wir werden ihre Bude eben auch noch umkrempeln. Wenn ihr diese elenden Figuren nachher bei Seite schaffen müsst, gebraucht gefälligst euren Denkapparat. Die Idee mit den Containern war absolut hirnrissig. Verbuddelt sie meinetwegen auf dem Friedhof in einem frischen Grab. - Und jetzt macht die Tante reisefertig.“
Wie befohlen kümmerten sich zwei Typen um Adelheid. Sie gingen nicht gerade sanft mit ihr um. Und bald lag sie hilflos wie ein gefangener Missionar neben Rudi. Es hatte aber keinen Zweck, ihn etwas zu fragen. Seinen Mund zierte nämlich ein Knebel. Er konnte gar nicht antworten.
Jetzt kam ein anderer Mann durch die Hintertür in den Laden. „Chef die Wagen da draußen sind sauber. Wär ja auch blöd, da drinnen was zu verstecken.“
Der Chef befahl: „Gut, lasst uns abhauen. Einer bringt den Lieferwagen hinter das Haus. Schmeißt die beiden traurigen Gestalten auf die Ladefläche. Wir treffen uns wie immer am See.“
Nach der harten Landung auf der Pritsche im Lieferwagen taten Adelheid alle Knochen weh. Wie sollte sie sich je aus dieser Situation befreien? Sie musste sich wohl in ihr Schicksal fügen. – Nein, noch gab es eine Chance. Sie musste sich bis zur hinteren Klappe vorarbeiten, sich dann auf den Boden fallen lassen und unter den Wagen rollen. Aber so, dass die Kerle wegfahren konnten ohne sie zu verletzen.
Ganz unerwartet kam doch noch Hilfe von draußen. Es wimmelte plötzlich von Polizisten. Sie überwältigten die Gauner am Lieferwagen und befreiten Adelheid und Rudi. Sie umstellten das Haus und schlichen in den Verkaufsraum. Es ging alles ganz glatt vonstatten. Nur der Chef erhielt einen Schuss ins Bein, als er fliehen wollte.
Im Präsidium fragte Adelheid verwirrt: „Wie konnten Sie bloß wissen...?“
Der Kommissar grinste überlegen: „Ganz einfach, wir ließen Sie beschatten. Wir wussten, Sie würden uns zu dem Mörder führen.“
Er konnte doch nicht zugeben, dass er mit seiner Theorie total daneben lag.
Aktualisiert ( Freitag, den 28. März 2014 um 18:24 Uhr )