Leben wie in einer Seifenblase
Wenn die Deutsche Erika Mendoza Grata einen Raum betrat, füllte sie ihn durch ihr Erscheinen restlos aus. Alle Personen neben ihr wurden plötzlich zu Statisten. Das kam ihrem Job natürlich zu gute. Denn Erika Mendoza Grata vertrat hier auf der Insel als Honorarkonsulin die Interessen eines afrikanischen Staates. Und als solche erwartete sie von ihrer Umgebung auch den nötigen Respekt.
Dabei konnte man sie wirklich nicht als schön bezeichnen, nicht einmal als besonders elegant. Die Frau Konsulin driftete nämlich schon stark Richtung Rente und dies ziemlich gewichtig. Aber ihr Auftreten hätte einer Monarchin alle Ehre gemacht. Wie selbstverständlich bewegte sie sich geradezu hoheitsvoll in den erlauchtesten Kreisen.
Die Konsulin beschäftigte natürlich Personal - wie es ihrer Stellung entsprach. Leider hielt sie nichts von Tarifen. Die schwarzen Boys ohne Papiere konnten sich nicht aufsetzen und die dummen, deutschen Aussteiger schienen sogar noch dankbar dafür, dass die Konsulin ihnen ein paar Peseten zuwarf.
In dem feudal eingerichteten Konsulat stellte sie Visas, Zertifikate für Schiffe und andere amtliche Zeugnisse aus - alles gegen gute Dollars versteht sich. Sie erhielt auch etliche lukrative Angebote. Aber sie schaffte es nicht, diese Geschäfte auch Gewinn bringend zu realisieren.
Erika Mendoza Grata besaß zum Beispiel eine Visibility-Studie für die Infrastruktur des afrikanischen Landes. Aber anstatt sich damit an eine seriöse Firma zu wenden, ließ sie sich das Ding von einem windigen Konsul eines anderen Staates abschnacken. Der verdiente damit ein Vermögen. Ihr Gezeter nützte ihr wenig, denn sie hatte sich keine Quittung geben lassen.
Oder – die Sache mit der wertvollen Karte von den Fischgründen vor der afrikanischen Küste. Julia, die Hilfe im Konsulat, warnte ihre Chefin noch vor Herrn Lübbe, der mit seinen drei Fischdampfern nur so prahlte. Er lebte seit Jahren mit seiner Familie in Afrika und behauptete, er wüsste alles über Land und Leute. Für die Karte wollte er jeden Preis zahlen. Die Frau Konsul glaubte dem sauberen Herrn jedes Wort. Julia musste die überdimensionale Seekarte zu einer speziellen Kopieranstalt bringen. Doch als sie das wertvolle Stück wieder abholen wollte, hatte man Karte und Kopie bereits heraus gegeben – an einen Deutschen. Die Beschreibung passte genau auf diesen Herrn Lübbe.
Später erfuhren sie, dass der Kerl keine müde Mark besaß. Seine Fischdampfer lagen in Afrika an der Kette. Als er sich dort sehen ließ, landete er im Knast. Seiner Frau blieb die Sorge um die Tochter. Sie jobte bis ihr Mann wieder frei kam, in einer schmuddeligen Kneipe in Las Palmas.
Doch es gab noch diverse andere Niederlagen für die Frau Konsul. - Eines Tages legte ihr ein Belgier fünf wunderschöne Aquamarine auf ihre Schreibtischplatte. Selbstbewusst sagte er: „Es handelt sich um Top-Ware. Ich überlasse Ihnen einen Pos-ten zu einem äußerst günstigen Preis – sagen wir ein Lot für 6.000.- Dollar.“ Die Konsulin zahlte. Natürlich sah sie den Kerl niemals wieder.
Ach ja, ein Geschäft gelang ihr doch. Die Regierung erwartete von ihrer Honorarkonsulin Offerten für den Straßenbelag in ihrem Land. Sie bekam Kontakt zu einem Industriellen aus Bremen namens Braun. Der bot ihr Schlacke an - kostenlos – sozusagen als Entwicklungshilfe. Die entsprechenden Zertifikate bescheinigten, dass das Material völlig frei von Schwermetallen und anderen Schadstoffen wäre. Natürlich hatte die Sache einen Haken. Denn die Schlacke strahlte noch – aber nur ganz wenig. Das Geschäft kam auch zustande – leider ohne Gewinn für die Frau Konsul.
So ging es mit jedem großen Ding. Für sie blieb nie etwas hängen.
Da kommt man doch ins Grübeln. Woher nahm die Frau das Geld für ihren aufwendigen Lebensstil? So viel warf das Konsulat nicht ab. – Doch die gnädige Frau zeigte sich da sehr erfinderisch. Es gab nämlich genug wohlhabende Leute auf der Insel und interessante Neuankömmlinge aus Deutschland, die ihre Ersparnisse mitbrachten.
Frau Mendoza Grata lud ihre zukünftigen Geldgeber in das teure französische Restaurant ein, flankiert von früheren Opfern, die hofften, von dem Happen einen Teil als Rückzahlung zu kassieren. Während des üppigen Mahls sprach Frau Konsul von ihren Beziehungen. Sie erwähnte die großen Empfänge und gewährte den Zuhörern so Einblicke in ihre trügerische Scheinwelt. Wie nebenbei kam auch die Rede auf ein großes aktuelles Geschäft und die damit verbundene hohe Rendite. Ihre staunenden Gästen fühlten sich geradezu geehrt, sich mit 20 Mille oder mehr an so einer ertragreichen Sache beteiligen zu dürfen.
Die Konsulin verstand sich darauf, die Rückzahlung immer wieder hinaus zu zögern. Niemand glaubte ernsthaft, dass die honorige Dame nicht zahlen wollte. So große Ge-schäfte brauchten eben ihre Zeit. Nicht einmal sie selbst zweifelte daran. Irgendwann würde sie schon zum Zuge kommen. Ihr abenteuerlicher Lebensweg führte doch ständig bergauf, von einigen Abstürzen abgesehen.
„Ihre Familie konnte sich damals noch rechtzeitig aus Ostdeutschland in den Westen absetzen. In Köln besaß die Großmutter eine Tanzschule, genau das Richtige für Erika. Das Mädchen begriff sofort, worauf es ankam. Erfolg hatte nur, wer sich kultiviert in Szene setzen konnte. Schon bald war sie in der Lage, den Schülern die richtigen Tanz-schritte und die feine Lebensart beizubringen. Die Großmutter vermachte Erika später den florierenden Betrieb.
Erika heiratete mehrere Male und bekam zwei Kinder. Bei jeder Scheidung ging ein Teil ihres Vermögens verloren. Nach der dritten Trennung musste sie die Tanzschule aufgeben. Mit ihren zwei Kindern dem lieben Partner Till und dem verbliebenen Kapital zog sie nach Freiburg und eröffnete dort eine Edelboutique mit super teuren Klamotten. Ein Abstecher nach Spanien bescherte ihr einen vierten Mann, den tollen Namen und zwei weitere Kinder. Als der feurige Spanier sie mit einem Messer bedrohte, floh sie bei Nacht und Nebel mit ihren Kindern und der teuren Limousine zurück nach Freiburg. Zum Glück blieb ihr die Boutique. Die hatte ihr Partner, der liebe Till, inzwischen über Wasser gehalten. Jetzt half er der armen Erika über den seelischen Schmerz hinweg, wenn auch ohne Ehering.
So kam Erika allmählich in die Jahre. Die beiden älteren Kinder lebten in Köln. Sie hielten nicht viel von den Abenteuern ihrer Mutter. Die beiden jüngeren Töchter Maria und Ines, inzwischen recht ansehnliche Mädchen, lehnten es ab zu arbeiten. Die Mutter würde schon für sie sorgen. Aber für so viele Mäuler warf die Boutique nicht genug ab. Erika blieb die Miete schuldig. Ein großer Teil der Kleider hing nur auf Kommission in ihrem Laden. Doch Erika wusste Rat. Sie verkaufte kurzerhand alle Klamotten an einen Interessenten in Rom. Die Sachen wurden in einen Container verstaut und auf die Reise geschickt. Till fuhr mit der jüngsten Tochter Ines in seinem Kombi hinterher und Erika folgte in ihrer Limousine. Sie wollten auf Gran Canaria ihr Glück versuchen. Maria hatte sich gerade einen reichen Typen geangelt und blieb zurück.
Doch der LKW mit der Ware kam nie in Rom an. Auf einem Rastplatz in der Nähe von Mailand wurde der Container aufgebrochen und ausgeraubt. Der Fahrer meldete den Diebstahl nach Rom. Er hätte im Rasthaus vor dem Fernseher gesessen und nichts bemerkt.
Etwas musste einen Beobachter allerdings stutzig machen. Als Erika, Till und Ines im Hafen von Las Palmas die Fähre verließen, waren ihre Wagen bis unters Dach voll gestopft mit teuren Klamotten.
Sie fuhren gleich in den Süden der Insel und mieteten sich in Patalavaca ein Haus. Eine Zeit lang erholten sie sich bei dem tollen Wetter. Dann fuhr Erika noch einmal zurück nach Freiburg, um den Verlust der Ware bei der Versicherung zu melden. Auf dem Rückweg machte sie einen Umweg über Italien. Dort holte sie aus dem gemieteten Lager einen weiteren Schwung teurer Kleider.
Bei ihrer Ankunft in Patalavacca wartete auf Erika eine richtige Katastrophe. Till und Ines ließen sie nicht ins Haus. Ines rief: „Wir lieben uns und du störst nur.“ Und Till nahm der völlig überrumpelten Frau sogar noch die Autoschlüssel ab. Dann schlugen sie die Haustür zu. Ohne Gepäck stand Erika verloren auf dem Fußweg. Verwirrt ging sie zum Strand.
Bei Dunkelwerden schlich Erika zum Haus. Da stand noch ihr Auto. Der Reserve-schlüssel steckte hinter dem Glas eines Scheinwerfers. Sie schob den Wagen ein Stück weiter und setzte sich hinein. Dann fuhr sie einige Kilometer weit und hielt erst inmitten einer Anlage von Tomatenfeldern. Diese Nacht schlief sie im Auto.
Am nächsten Morgen machte sie sich auf den Weg nach Las Palmas. Sie stellte den Wagen in ein Parkhaus und sah sich erfolgreich nach einer Bleibe um. Ihr Geld reichte gerade für die Kaution und drei Monatsmieten. Bis dahin musste sie wieder Fuß gefasst haben.
Sie besuchte einige Boutiquen und verkaufte etliche teure Modelle – oder gab sie den Inhabern in Kommission. Dann versuchte sie über das Konsulat einflussreiche Personen kennen zu lernen.
Tatsächlich fühlte sie sich schon bald wieder oben auf. Auf einem Empfang lernte sie die Delegation eines afrikanischen Staates kennen. Ein wichtiger schwarzer Minister war von ihr tief beeindruckt. Er lud sie ein, ihn in sein Land zu begleiten. Er schenkte ihr dort ein Haus an der Küste, besorgte ihr Personal und erfüllte ihr jeden Wunsch. Da seine Frau nie in Erscheinung trat, stellte er Erika überall vor. Ihr selbstsicheres Auftreten und ihre elegante Garderobe verschafften ihr bald hohes Ansehen. So erhielt sie das Angebot, als Honorarkonsulin in Las Palmas dieses Land zu vertreten. Entsprechend ausgerüstet kehrte sie auf die Insel zurück und stellte sich bei der dortigen Regierung als Konsulin vor.
Jetzt erhielt sie Einladungen zu allen offiziellen Veranstaltungen und Empfängen. Einige Honoratioren betrachteten sie zwar mit Misstrauen. Aber ihre dominierende Erscheinung ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie den Posten nicht ausfüllen könnte. Darum war sie jetzt auch absolut kreditwürdig. So dauerte es nicht lange, bis sie finanziell wieder glänzend da stand.
Gerade als Erika sich saniert hatte, warf Till die egoistische Ines raus, Erika weigerte sich, sie aufzunehmen. Da rächte sich das Mädchen und zeigte ihre Mutter und Till in Deutschland wegen der Sache mit den Klamotten in Italien an. Nun durfte sich Erika nicht mehr in Deutschland sehen lassen.
Eines Tages erschien Maria, die andere Tochter in Las Palmas. Sie war zwar keine große Hilfe, bildete aber einen hübschen Rahmen für die Konsulin. Maria blieb nicht lange ohne männlichen Schutz. Herr Martin Nolte, der selbst bei 35 Grad im Schatten noch korrekt gekleidet herum lief, erwies sich als Top-Manager für das Konsulat. Mit ein Grund, dass sie jetzt noch mehr verlockende Geschäfte angeboten bekam.
Es gelang der Konsulin nebst Tochter und deren Macker tatsächlich, sich etliche Jahre über Wasser zu halten und recht flott zu leben. Doch irgendwann musste die Seifenblase ja platzen.
In Deutschland kam die Sache mit dem Versicherungsbetrug vor Gericht. Erika Men-doza Grata wurde in Abwesenheit zu einer Geldstrafe verknackt. Auf der Insel wollten immer mehr Opfer ihr Geld zurück – darunter ein Conde mit fast einer Million Dollar. Die Konsulin zog bei einer Nacht- und Nebelaktion mit ihren Möbeln in ein Haus im Campo.
Doch dann begann sich auch noch die Polizei für sie zu interessieren. Da wurde Erika auch der Boden im Campo zu heiß. Sie packte ihre Koffer und verschwand Richtung Flughafen – ab nach Deutschland. Sie hatte genug Geld bei Seite geschafft, um davon längere Zeit im großen Stil zu leben und daneben mit leichter Hand die Geldstrafe und die Gerichtskosten zu bezahlen.
Das Konsulat managte inzwischen der fleißige Herr Nolte. Er und Maria lebten schon längere Zeit zusammen in einer eigenen Wohnung. Man erzählt sich, Erika hätte eine vermögende, junge Frau überredet, mit ihr nach Afrika zu gehen, um dort in dem bewussten Land eine Boutique aufzumachen. Ob die beiden dort die Revolution überlebt haben, kann niemand so genau sagen.
Ein Gerücht will allerdings wissen, Erika Mendoza Grata wäre in Saudiarabien gesehen worden.
Gisela Seeger-Ays