Schinken aus Polen

 

Egon saß missmutig in seiner Kneipe. Er kam einfach auf keinen grünen Zweig. Soviel er auch rechnete, unterm Strich blieb gerade genug zum Überleben. Er arbeitete wirklich viel. Daran lag es nicht. Seine Stammkunden rissen sich um seine Croques - Riesenbrötchen mit verschiedenen Füllungen. Besonders gefragt waren die mit Schinken und Krautsalat. Doch bei den Kosten für die Zutaten blieben ihm nur Cents. Und die Preise erhöhen? Er hörte schon den Protest. Der Wirt um die Ecke verlangte doch auch nicht mehr.

Jemand hämmerte an die Tür. Es wurde Zeit, das Lokal zu öffnen. - Mehrere Männer besetzten die Hocker vor dem Tresen. Bald diskutierten sie lebhaft das letzte Fußballspiel von St. Pauli oder dem HSV. An einem Tisch hielt die Toilettenfrau vom Messegelände Hof. Sie kannte viele Prominente. Immer wusste sie tolle Geschichten - und keine davon war gelogen.

Anna kam und arbeitete in der Küche. Es war laut und der Raum ziemlich verräuchert. Egon und Anna gönnten sich keine Pause.

Gegen Mitternacht kam ein Gast herein, den Egon nicht kannte. Der kleine schmächtige Mann setzte sich auf den Hocker in der Ecke. „Ein Bier! — Damit du weißt, mit wem du redest, ich heiße Ede.“

Er beobachtete den Wirt. Schließlich bestellte er sich ein Croque mit Schinken und Krautsalat. Nachdem die Riesenportion in dem kleinen Mann verschwunden war, meinte er: „Schade, der Schinken ist nicht gerade Spitzenklasse. Dein Croque könnte noch besser schmecken.“

Egon protestierte ärgerlich: „Was verlangst du für den Preis? Meine Gäste kommen so schon nicht mit der Hand in die Tasche.“

Ede beugte sich über den Tresen. „Ich kann dir prima Hinterschinken aus Polen besorgen - 1 A Qualität - und zum Superpreis.“ Er schrieb Zahlen auf einen Zettel und schob ihn Egon vor die Nase. „Für eine 2 kg Dose - versteht sich.“

Der Preis konnte sich sehen lassen. Der billigste Vorderschinken kostete ja schon doppelt so viel. Egon sagte langsam: „Und du bietest wirklich gute Qualität?“ 

Edes Augen funkelten listig. „Mein Wort! Allerdings musst du zehn Dosen auf einmal abnehmen. Großhandel, verstehst du?“ 

Ede sah Egons Interesse schwinden. „Ich mache dir ein Angebot. Beim ersten Mal zahlst du erst nach vierzehn Tagen. Wenn dir die Ware nicht gefällt, nehme ich sie zurück.«

Ein Handschlag machte den Handel perfekt. - Der Schinken erwies sich als erst- klassig. Egons Umsatz stieg von Tag zu Tag. Sehnsüchtig wartete er auf die nächste Lieferung. - Das Geschäft lief super. Und jetzt blieb auch mancher Euro bei dem Wirt hängen.

Natürlich merkte er bald, dass bei dem Handel etwas nicht stimmte. Er bekam nie eine Rechnung. Und einmal bat ihn Ede, die Dosen selbst abzuholen. Der LKW wäre liegengeblieben. Auf einem Waldweg stand ein Container. Ein schmieriger Typ verkaufte an mehrere Autofahrer Schinken, so viel sie haben wollten. Egon beschloss, sich darüber keine Gedanken zu machen.

So etwas konnte ja nicht ewig gut gehen. Eines Tages blieben Ede und seine Schinken aus. Egon fragte überall herum. Doch niemand kannte Edes Adresse, nicht einmal seine Telefonnummer. Egon musste also wohl oder übel wieder auf schlechteren Schinken umsteigen. Der große Boom fand so ein plötzliches Ende.

Nach Monaten - Egon kam gerade vom Finanzamt - sah er den Schinkenlieferanten auf der anderen Straßenseite. Als Ede ihn bemerkte, wollte er sofort abhauen. Doch Egon war schneller. Er umklammerte Edes Arm. „He - was ist los? Warum bringst du keinen Schinken mehr? Ich würde auch mehr zahlen.“

Ede sah ihn giftig an. „Vergiss das Geschäft. Die Sache hat sich tot gelaufen.“ 

Egon lockerte den Griff kein bisschen. So bequemte Ede sich zu einer Erklärung. „Wir sind selbst ganz schön sauer. Das kannst du mir glauben. So ein sicheres Geschäft! Die richtigen Leute versorgten uns mit den richtigen Tipps. Auf dem Verschiebebahnhof luden wir unseren Anteil aus. Mit der Zeit fanden wir immer mehr Abnehmer. So brauchten wir bald einen ganzen Container. Nie gab es Är- ger. Niemand verdächtigte uns.“

Er strich sich über die Augen. „Nur beim letzten Mal ging alles schief. Ich begreife das heute noch nicht. Die Papiere waren in Ordnung, der Inhalt des Containers als Hinterschinken aus Polen deklariert. Stell dir unser Entsetzen vor, als wir den Container in unserem Versteck aufmachten. Die ganze Ladung bestand aus Pistolen. Wir rissen alle Kisten heraus und warfen sie auf die Erde - nichts als Pistolen. Wir verzichteten auf das Geschäft. Das Ding war für uns ein paar Nummern zu groß. Wir diskutierten nächtelang.

Es gab nur eine Erklärung. - Jemand musste von unseren Beziehungen gehört haben und nutzte das ganz kaltblütig aus.“