Totalschaden

Wie so oft hockte Herbert in der Kneipe um die Ecke. Doch heute fühlte er sich zu deprimiert und unverstanden, um der allgemeinen Unterhaltung folgen zu können. Darum vergrub er sich ja auch in der hintersten Ecke des Lokals.

 

Ihn nervte Dora, die ihm dauernd mit ihren Vorwürfen in den Ohren lag. Das bisschen Geld vom Arbeitsamt reichte hinten und vorne nicht. Und - jeder vernünftige Mann bekäme Arbeit, wenn er nur wollte. Und - den Wagen sollte er verkaufen. Der schluckte nur einen Haufen Geld für nothing. Und - wenn sie ihn los würden, könnten sie sich auch mal etwas leisten. - Und - und - und… Nie ging Dora die Puste aus.

 

 

Aber er wollte den Wagen behalten. Er besaß doch sonst nichts. Er stützte den Kopf in die Hände. Zwei Kerle setzten sich zu ihm an den Tisch.

„Gehört dir die blaue Karre da draußen?“ Herbert nickte. „Was wollt ihr? Wer seid ihr überhaupt?“

Der große, breitschultrige Typ schien das Wort zu führen. „Der heißt Alfi, mich nennen sie Ecki.“

Herbert ergab sich in sein Schicksal. „Ich nehme an, ihr wollt den Wagen kaufen?“

Alfis Stimme klang quäkend wie ein altes Radio. „Sehen wir so aus? — Nee, wir wollen dir einen Deal vorschlagen.“

Ecki winkte ihn zu schweigen. „Die Sache wird dir gefallen. Jemand klaut deine Karre. Du kriegst Kohle von der Versicherung. Und trotzdem bekommst du den Schrotthaufen wieder.«

Herbert schüttelte den Kopf. »Das ist doch horrender Blödsinn. Da macht keine Versicherung mit.«

Ecki grinste. „Du wirst sehen. Das läuft ab wie ein Film von der Rolle. Leider können wir diese Masche nicht zu oft abziehen. Aber wir haben auch andere Tricks auf Lager.“

Die Kerle klatschten sich auf die Schenkel. Ecki bestellte für alle Bier. Schließlich beruhigte er sich und erklärte Herbert seinen Teil an dem Plan. „Gib mir deine Autoschlüssel. Wenn der Wagen nicht mehr hier vor der Kneipe steht, meldest du ihn bei der Polente und bei ‚Zahlemann und Söhne‘ gestohlen. - Und solltest du die Karre zurück kriegen, bringst du sie zu Norberts Autoklinik. Schon gehört?“

„Nein, wo finde ich die?“ „Guck einfach ins Telefonbuch.“

Herbert schob die Autoschlüssel über den Tisch. „Und wie geht es weiter?“ Ecki nahm die Schlüssel. „Lass gut sein. Was du nicht weißt, kannst du nicht verraten.“

Herbert sah den beiden nach, als sie das Lokal verließen. Ihm stand das Wasser sowieso bis zum Hals. Hauptsache, der Wagen verschwand von der Straße - so schnell wie möglich. Er war erst vier Jahre alt. Da gab es von der Versicherung bestimmt noch gute Kohle.

Er trank noch ein Bier, bevor er sich auf den Heimweg machte. Dora roch die Fahne und lamentierte wie gewohnt. Doch er antwortete nicht, setzte sich vor den Fernseher und zog sich den neuen Tatort rein.

Am nächsten Morgen ging er zur Polizei und zur Versicherung und meldete seinen Wagen als gestohlen. Alle waren überzeugt, den sähe er nicht wieder. Heutzutage landeten doch alle gestohlenen Wagen irgendwo im Osten.

Doch sie hatten sich geirrt. Nach vier Tagen rief ein Beamter bei Herbert an. „Heute Morgen fand eine Streife ihren Wagen auf einem Fußweg im Sachsenwald. Das heißt, was von ihm noch übrig ist.“

"Was soll das heißen? Hat man ihn zu Schrott gefahren?“

Der Polizist räusperte sich. „Nein, das kann man nicht sagen. Im Prinzip ist der Wagen in Ordnung. Nur fehlen einige Teile, die vier Türen, die Kotflügel, die Motorhaube, Batterie und Reserverad. - Ach ja, den Fahrersitz haben sie auch abmontiert.“

Herbert stotterte: „Das begreife ich nicht.“

Der Polizist sagte resigniert: „Ich auch nicht. Vielleicht brauchte der Kerl nur das Blech - nach einem Unfall? Der klägliche Rest Ihres Wagens steht auf dem Polizeiparkplatz in Naundorf. Lassen Sie ihn innerhalb 24 Stunden abholen. Sonst kostet das Gebühren.“

Herbert starrte den Telefonhörer an. Nicht schlecht. Mal was ganz Neues. Er rief also Norberts Autoklinik an. Der Mann fragte mürrisch: „Wie ist Ihr Name? Die Autonummer? Wo steht der Wagen? - Benachrichtigen Sie die Versicherung. Bevor von denen keiner da war, fassen wir den Wagen nicht an.“

Das erledigte Herbert sofort. Für die Herren da schien diese Art Diebstahl auch völlig neu. Nach vier Tagen bekam er Bescheid. Der Sachverständige meinte: „Eine teure Angelegenheit, neue Türen, Kotflügel, Motorhaube, ja sogar der Fahrersitz, dann noch alles lackieren. Das kostet uns mehr als ein Totalschaden. Wir zahlen Ihnen den Schätzwert.“

Nach einigem Zögern sagte der Mann: „Vielleicht können Sie ja selbst etwas machen und die Schrottplätze abklappern.“

Herbert benachrichtigte diesen Norbert von der Autoklinik. Der Mann meldete sich schon am nächsten Tag: „Am besten, Sie kommen gleich vorbei und sehen sich die Sache an.“ Herbert staunte nicht schlecht. Alle fehlenden Blechteile lagen rund um sein Auto. Und sie besaßen genau die richtige Farbe. Herbert untersuchte den rechten vorderen Kotflügel. Ja, die Schramme kannte er.

Der Besitzer der Autoklinik grinste. „Zufrieden? Die Leute haben feste Preise. Sie warten auch, bis das Geld von der Versicherung kommt.

Nur den Fahrersitz können sie nicht liefern. Den muss ein anderer geklemmt haben.“

 

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Gisela Seeger-Ays

Aktualisiert ( Dienstag, den 08. Oktober 2013 um 15:46 Uhr )