Neapel sehen – und sterben!

Die sieben Männer vom Kegelclub 'Alle Neune’ hockten nach der sportlichen Betätigung noch gemütlich in ihrer Stammkneipe. Nur Georg wirkte noch leicht gnadderig. Die anderen machten ihn auf der Kegelbahn bestimmt absichtlich so nervös, damit sie ihm hinterher den Pudelorden umhängen konnten.

 

Gerade erhob sich Robert feierlich. „Wie beschlossen verjubeln wir dieses Mal unsere Kegelkasse in Neapel. Die Stadt soll der absolute Hammer sein. Umsonst heißt es ja nicht: Neapel sehen und sterben. – Das werden bestimmt fünf heiße Tage.“

 

Peter und Paul schwärmten davon, wie viele Paläste, Kirchen und Grabmäler man in der Stadt besichtigen könnte. Die weniger Kulturbesessenen interessierten sich eher für den Hafen und die nahe gelegenen Gassen mit den feurigen Italienerinnen. Nur Heinz träumte schon von Sonne, Mittelmeer und einer Tour zum Vesuv...

Pünktlich trafen sich alle zwei Tage später in der Halle des Flughafens Hamburg - Fuhlsbüttel. Robert als Vorsitzender des Kegelvereins übernahm sofort das Ganze. Er erreichte auch, dass sie im Flugzeug nahe beieinander saßen.

Zum Glück dauerte der Flug kaum mehr als zwei Stunden. In Neapel vor dem Flughafengebäude wartete ein kleiner Bus, der sie zum Hotel Roma brachte – nicht weit vom Hafen entfernt.

Am ersten Abend bevölkerten sie die Hotelbar. Da holten sie sich auch Tipps, was man hier auf keinen Fall versäumen dürfte.

 

Am nächsten Vormittag wurden sie von einem Bus zu einer Sight-Seeing - Tour abgeholt. Die prächtigen Bauten, denen so viele Jahrhunderte nichts anhaben konnten, ließen die Hamburger Jungs ganz still werden. Ihre im Krieg zerbombte Heimatstadt kam da nicht mit.

Nachmittags besuchten sie das Museo Nazionale mit der berühmten Altertumssammlung und danach noch mehrere Kirchen.

Die Mehrzahl der Kegelbrüder wehrte sich gegen noch mehr Kultur. Nur Peter und Paul kriegten nicht genug und fuhren am Abend mit der Seilbahn auf den Posillipo Hügel.

Eine gute Gelegenheit für den Rest der Gesellschaft im Hafen die Kais entlang zu­schlendern und einen Blick auf die malerischen Fischerboote und kleinen Küstenschiffe zu werfen. Bald gerieten sie in die engen Gassen, die in allen Häfen der Welt den gleichen Charme besitzen.

Die Fassaden der Häuser wirkten düster und irgendwie schmuddelig. Alte Neonschilder sollten wohl die Gäste anlocken.

An einer Mauer lehnte ein Mädchen mit superkurzem Rock. Als sie die Männer sah, rief sie etwas in den dunklen Eingang der nächsten Bar.

Schon tauchte so ein kräftiger Türsteher auf. „Signores, immer herein – hier prima Mädchen.“

Er hielt Robert am Ärmel fest und zog ihn mit sich. Was blieb den Freunden übrig? Sie mussten ihnen die ausgetretenen Stufen nach unten folgen.

Der Wirt wischte mit einem Tuch die Tische ab. „Setzt euch

doch! Der erste Drink geht aufs Haus.“

Robert fühlte sich nach ein paar Schlucken Schampus richtig entspannt, ja sogar etwas schläfrig. Ein tolles Weib mit feurigen Augen kuschelte sich an ihn und begann, ihm etwas zuzuflüstern. Plötzlich biss sie ihn ins Ohrläppchen.

Robert fuhr sie an. „Lass das! Ich stehe nicht auf so was.“

Sie ließ von ihm ab und lächelte. „Schade“ und ging davon.

Doch schon setzte sich ein anderes Nachtschattengewächs zu Robert und knöpfte geschickt sein Hemd auf. Er sah hinüber zu seinen Freunden. Denen setzten die Mädchen auch ganz schön zu. Dieser blutrünstige Vampir beschäftigte sich gerade mit Brunos Ohrläppchen.

Am besten sie setzten sich hier ganz schnell ab. Diese Atmosphäre konnte ihn wirklich nicht antörnen, für Sex mit so einem Vogel auch noch Geld locker zu machen. Seine Freunde wirkten auch ziemlich gestresst. Nur Bruno verschwand gerade mit einer Tussi nach oben.

Robert schob die aufdringliche Braut bei Seite und knöpfte sein Hemd zu.

Dann rief er den anderen zu: „Lasst uns hier abhauen.“

Georg und Heinz atmeten sichtlich erleichtert auf. Nur Egon winkte ihnen zu, er käme später.

Ziemlich geschafft erreichten sie ihr Hotel. Nach einem Absacker in der Bar verzogen sie sich in ihre Zimmer.

 

Am nächsten Morgen fehlte Bruno beim Frühstück.

Egon, Brunos Zimmergenosse, sagte bedrückt: „Er hat sich bis jetzt nicht im Hotel blicken lassen. Ich wollte ja in der Spelunke auf ihn warten. Aber dann kam die blöde Gans mit dem Tick, jeden Kunden ins Ohr beißen zu müssen, zu mir und sagte, er wäre schon gegangen. - Wenn er nun überfallen wurde?“

Nach dem Frühstück gingen sie zur Polizei und meldeten Brunos Verschwinden. Die Typen nahmen die Sache sehr ernst und wollten genau wissen, wo sie sich nachts rumgetrieben hatten. Doch keiner von ihnen wusste den Namen der Bar oder wie die Straße hieß.

Die Polizisten nahmen die Kegelbrüder im Streifenwagen mit und klapperten mit ihnen das gesamte Hafenviertel ab. Aber am Tag sah alles ganz anders aus. Einmal glaubten sie schon, sie hätten die miese Bar gefunden. Aber drinnen standen die Tische anders und es gab auch keine Treppe nach oben. Die Polizisten brachen schließlich die Suche ab.

Am Abend wagten sie sich noch einmal in die Gegend. Doch sie entdeckten weder den Türsteher noch einen der Paradiesvögel.

Voller böser Ahnungen gingen sie zurück ins Hotel. Dort diskutierten sie bis in die Nacht und sparten nicht mit gegenseitigen Vorwürfen. Nur in einem Punkt waren sie sich einig. Sie wollten auf keinen Fall eher abreisen. Vielleicht tauchte Bruno ja doch noch wieder auf. Das Wort Tod wagte keiner auszusprechen.

Verzweifelt suchten sie in den Tagen darauf ihren Freund an den unmöglichsten Plätzen – doch ohne Erfolg.

Am letzten Tag meldeten sie sich noch einmal bei der Polizei. Sie erfuhren dort keine Neuigkeiten. Die Bullen legten ihnen nur nahe, sich sofort bei der Kripo in Hamburg zu melden.

Niedergeschlagen landeten die sechs Männer auf dem Hamburger Flughafen. Brunos Freundin flippte total aus. Dabei brachten sie ihr die Nachricht äußerst schonend bei.

Gleich am nächsten Tag gingen sie zur Kripo. Sie wurden dort schon erwartet. Nach vielen Verhören blieb ihnen nur der schwache Trost, dass die Italiener ihr Bestes täten.

Sie hörten lange nichts – weder von Bruno noch von der Kripo - bis zu jenem seltsamen Anruf.

Robert – seit seiner Scheidung Single aus Überzeugung – wollte gerade seine Dosensuppe essen. Da klingelte das Telefon.

Fast hätte er Brunos Stimme nicht erkannt. So müde und völlig kraftlos klang sie. „Ich bin hier am Flughafen. Holst du mich ab?“

Robert erschrak, als er seinen Freund sah. Brunos Anzug war viel zu groß für den mageren Körper. Seine Augen lagen tief in den Höhlen. Er schwankte, so dass Robert ihn stützen musste.

Bruno sagte nervös: „Ich will zuerst mit dir sprechen, bevor ich nach Hause gehe.“

Stockend berichtete er später: „Also ich kriege das nicht in die Reihe. Ich glaube, die verpassten mir eine Spritze.

Als ich im Krankenhaus zu mir kam, ging es mir so dreckig wie noch nie in meinem Leben. Die Schwester sagte, das käme von dem schweren Autounfall. Man hätte mich mit einer Gehirnerschütterung und einer Nierenquetschung eingeliefert. Ich musste operiert werden. Aber ich erinnere mich an keinen Unfall.“

Er seufzte laut: „Dann ging es weiter wie im Krimi. Als ich endlich entlassen wurde, verband man mir die Augen und brachte mich im Auto ins Hotel Roma.

Eine Angestellte führte mich zum Direktor. Der brachte mir dann umständlich bei, dass mein Verschwinden mehr als drei Wochen zurück lag. Er rief die Polizei. Die Bullen quetschten mich aus, besorgten mir einen Flug und sagten, ich müsste mich hier bei der Kripo melden. - Kommst du mit?“

Bruno versuchte später, seine Freundin anzurufen. Von einer Nachbarin erfuhr er schließlich, dass sie sich abgesetzt hatte. So schlief er bei Robert.

Bei der Kripo staunte man nicht schlecht, als Bruno plötzlich so lebendig zur Tür reinkam. Anscheinend hatte man nicht nur in Italien mit dem Schlimmsten gerechnet. Nachdem die Kripoleute ein Protokoll aufgenommen hatten, bat der Kommissar die Freunde, ihn zur Universitätsklinik zu begleiten.

Der Arzt sagte freundlich zu Bruno: „Wir möchten uns Ihre Operationsnarbe ansehen. – Nur zur Sicherheit.“

Man schob Bruno in eine Röhre. Zentimeter für Zentimeter bewegte er sich darin vorwärts, während sein Inneres scheibchenweise auf dem Monitor erschien.

Der Arzt besprach sich mit dem Kommissar.

Schließlich sagte er zögernd: „Die Operation wurde perfekt ausgeführt. Es wird nichts nachbleiben.“

Dann erklärte er: „Das Mädchen in dem Puff entnahm jedem Kunden geschickt eine Blutprobe aus dem Ohrläppchen. Ihre Daten stimmten anscheinend genau mit denen eines Patienten überein.“

Er gab sich einen Ruck. „Man hat Ihnen eine Niere entfernt.“

Bruno sprang auf. „Das glaube ich nicht! – Das gibt es doch nicht!“

Jetzt meldete sich der Kommissar zu Wort. „Dabei kann man Ihnen noch gratulieren. Vor ein paar Tagen fand man eine Leiche auf einer Mülldeponie, der fehlten beide Nieren und noch ein bisschen mehr.“

Gisela Seeger-Ays

Aktualisiert ( Samstag, den 04. August 2012 um 09:26 Uhr )