Wie gewonnen, so zerronnen.
 
Emil war ein plietscher Hamburger Jung.
So langweilige Sachen wie Socken oder Krawatten an den eleganten Herrn zu bringen, hatte er längst abgehakt. Auch seinen neuen Job als Kaufhausdetektiv konnte er getrost knicken. Nur in Säulen rumzustehen, die von draußen wie Spiegel aussahen, machte ja den härtesten Macker rammdösig.
Nein, ihn reizte das ganz große Geld.
Er hielt nämlich Augen und Ohren offen. Autos nach Afrika zu verschiffen, das brachte richtig Kohle in die Taschen.
Doch ohne genügend Schotter lief so was nicht. – Wenn er da unten nicht wenigstens mit einer Karre mit Stern auftauchte, konnte er den Deal vergessen.
Seine paar Kröten auf der hohen Kante langten bei weitem nicht. Also trug er sonntags nebenbei Zeitungen aus und kellnerte jeden Abend in verräucherten Kneipen. Außerdem verscheuerte er seinen Fernseher, die Musikanlage und was er sonst noch entbehren konnte.
So kriegte er die Kohle überraschend schnell zusammen.
Gerade zur rechten Zeit lernte er Gerd kennen. Der Typ lebte auf Gran Canaria und trieb sich seit ein paar Wochen in Hamburg rum.
Gerd fand Emils Idee total krass. „Komm einfach mit auf die Insel. Von da kannst du nach Afrika rüberspucken. Wenn du bei mir in meiner Kneipe malochen hilfst, kriegst du dafür einen Platz zum pennen und was zu beißen.
Aber zuerst müssen wir deine neue Karre nach Cadiz bringe. Da gehen wir dann auf die Fähre.“
Sie klapperten zu zweit die Autohäuser und Verkaufsmärkte ab. Und sie wurden fündig.
Emil trennte sich nun auch von so spießigen Sachen wie seiner Wohnung, unnötigen Klamotten und Gerätschaften. Dann ging es los.
 
Für Oktober war es schon ziemlich kalt. Aber sie fuhren ja der Sonne entgegen. Um die Autobahngebühren in Frankreich und Spanien zu sparen, benutzten sie die alten Landstraßen quer über die Pyrenäen. Sie schliefen im Wagen und ernährten sich von Brot und was sie sonst abstauben konnten.
Nach einer Woche erreichten sie Cadiz. Die Überfahrt sollte zwei Tage dauern. Wegen der gepfefferten Preise an Bord deckten sie sich mit genügend Proviant ein.
Sie mussten die Kabine mit zwei anderen Typen teilen. Die Jungs waren richtig locker drauf. Sie hatten Rotwein dabei und ließen die Flaschen reihum gehen. Emil und Gerd revan­chierten sich mit der Verpflegung.
Es war Emils erste Seereise. Er stand oft an der Reling und beobachtete die kabbelige See. Wohin er auch sah – bis zum Horizont gab es nur den gewaltigen Atlantik. Die Wellen schienen jede in eine andere Richtung unterwegs zu sein. Und doch musste es etwas Gemeinsames geben, das sie voran trieb.
Bei diesem Anblick fühlte Emil sich klein und hilflos.
Am zweiten Tag wuchs in der Ferne die Insel aus dem Meer – mit unerwartet hohen Bergen.
Als die Fähre den Hafen erreichte, setzten sich Emil und Gerd in ihren Wagen. Die Luken öffneten sich wie von Geisterhand und sie rollten an Land. Gerd lotste Emil durch viele enge Einbahnstraßen. Sie fanden mit Glück einen Parkplatz – ganz in der Nähe von Gerds Kneipe.
Von wegen!
Emil sah sich neugierig in dem Lokal um. Der Tresen bildete ein großes ‚U‘ mit vielen Hockern davor. An der Seite standen noch ein paar Tische.
Emil drehte sich nach Gerd um. Doch der hatte sich verdrückt.
Der Mann hinter dem Tresen fragte freundlich: „Wie kommst du hierher? Willst du länger bleiben? Ich heiße Knud, da in der Küche steht mein Weib Elsa.“
Emil stotterte: „Ich bleibe nur ein paar Tage bis ich ein Schiff nach Afrika finde. Gerd hat mir Essen und einen Schlafplatz versprochen, wenn ich ihm hier in seiner Kneipe helfe.“
Knud bog sich vor Lachen und rief seine Frau.
Dann wandte er sich an Emil: „Also eins musst du dir merken. Solchen Strolchen wie Gerd darfst du kein Wort glauben. Leider laufen hier von der Sorte mehr als genug rum.
Die Kneipe gehört nämlich uns. Gerd macht einen auf Lebenskünstler. Manchmal renoviert er Wohnungen. Doch meistens tröstet er einsame Herzen.“
Elsa bemerkte Emils Enttäuschung. „Du willst ja nicht ewig bleiben. Wir haben eine kleine Kammer mit Bett. Da kannst du erst mal pennen. Und zu essen gibt es bei uns auch genug. Dafür gehst du uns halt zur Hand, einkaufen, Kisten schleppen und was so anfällt... Einverstanden?“
Dankbar atmete Emil auf.
Die Zusammenarbeit klappte sogar hervorragend. Wenn es nach Knud und Elsa gegangen wäre, hätte Emil gern noch länger bleiben können.
 
Doch Emil dachte nur an den Superdeal. In jeder freien Minute lief er durch den Hafen. Und er fand was er suchte. Es gab da eine besonders günstige Verbindung nach Mauretanien. Er besorgte sich noch ein französisches Wörterbuch. Denn das Land gehörte früher mal zu Frankreich. Nach einem kurzen Abschied von Knud und Elsa brachte Emil sein Auto an Bord.
Es handelte sich um eine kleine rostige Fähre. Kabinen gab es nicht. Die Passagiere hockten an Deck auf den Planken. Wer müde war, streckte sich da aus, wo er Platz fand. Einmal am Tag verteilte die Mannschaft eine Art Fladenbrot und Wasser.
Doch das schien die vorwiegend arabischen Männer und Frauen nicht zu kratzen. Sie schwatzten und lachten. Manchmal klopfte einer Emil freundlich auf die Schulter.
Obwohl kaum Wind aufkam, stampfte der alte Seelenverkäufer schwerfällig gegen Südost.
Emil befürchtete schon, diese Fahrt nähme niemals ein Ende.
Doch plötzlich lag ein anderer Geruch in der Luft. Die Männer sprangen auf und stürzten zur Reling. Land in Sicht! – Die Küste und die Hafenstadt Nouadhibou kamen langsam näher. Emil starrte auf das fremde Bild, nur Sand und Geröll so weit er sehen konnte. Selbst die Häuser wirkten wie aus Sand zusammengebackt.
Emil fühlte sich unbehaglich. Aber er tröstete sich, er würde ja nicht lange bleiben.
Doch da irrte er sich gewaltig.
Als er mit seinem Wagen den müden Frachter verließ, hinderten ihn mehrere Uniformierte an der Weiterfahrt. Er musste auf einen eingezäunten Hof fahren. Ein Offizier fuchtelte mit einer Pistole herum und bedeutete ihm, seine Sachen zu nehmen und den Wagen zu verlassen. Dann schoben sie ihn ziemlich unhöflich in einen kahlen Raum mit einem wackeligen Schreibtisch und ein paar Stühlen. Bis auf einen drahtigen kleinen Kerl verließen alle den Raum.
Der Typ konnte sogar ein paar Brocken deutsch. „Du warten – Dolmetscher.“
Emil sagte ärgerlich: „Was soll das Theater? Ich will hier nur den Wagen verkaufen.“
Die Augen des Zöllners funkelten: „Ich Hassan – ich dir helfen.“
Da kam der Offizier mit dem Dolmetscher zurück. Sie prüften Emils Papiere und fragten ihn aus.
Endlich meinte der Dolmetscher: „So, du willst das Auto verkaufen? – Das braucht Zeit. Dafür kommt der Chef aus der Hauptstadt Nouakschott mit dem Stempel – vielleicht in einer Woche – vielleicht in einem Monat. Du musst warten.“
Dann gingen die beiden Männer und nahmen Emils Papiere mit.
Hassan rieb sich grinsend die Hände. „Du wohnen bei Hassan. - Ich dein Auto verkaufen. Du geben Hassan viele Dollars.“
Emil fühlte sich völlig am Ende. Was war das für ein Land? Sicher gab es in diesem Kaff nicht einmal ein Hotel.
Als Emil nicht gleich antwortete, sagte Hassan bescheidener:
„200 Dollars?“
Emil nickte. Was blieb ihm anderes übrig. Er saß hier fest.
Sein Bild von Afrika bekam gerade einen gehörigen Knacks. Außerdem knurrte sein Magen. Doch es dauerte noch eine Weile, bis Hassan endlich gehen durfte.
Zunächst schleppte der Zöllner Emil zum Basar der Stadt. Sie betraten einen mit Teppi­chen verhangenen Raum, der mit vielen fremdartigen Gegenständen vollgestopft war.
Hassan stellte den Besitzer als Jussuf vor und fragte Emil: „Du noch Dollars?“
Sie setzten sich auf den Boden und tranken Tee. Die beiden Araber redeten auf Emil ein, dass er in dieser Hitze unbedingt einen Turban und bequeme Sandalen brauchte. - Emil ließ sich breitschlagen. Für Jussuf war das ein prima Geschäft. Emil sollte den Kauf aber nicht bereuen.
Bis zu Hassans Hütte am Stadtrand war es ein weiter Weg. Beim Gehen wirbelten sie massenhaft Sand auf, der sich überall in der Kleidung festsetzte, die Augen tränen ließ und den Mund austrocknete.
 
Hassans rundliche Frau Rhea schien nicht erstaunt über den Besuch des Fremden. Sie zeigte auf den Boden, wo schon einige Kinder saßen. Emil bekam einen Löffel und aß mit allen anderen aus dem großen Topf.
Doch als der erste Heißhunger gestillt war, betrachtete er den Inhalt des Topfes genauer. Das Essen erinnerte ihn an Vogelfutter. Alles triefte vor Fett. Außerdem schwammen darin so seltsame Spinnenbeine herum.
Emil legte den Löffel weg.
Doch er sollte sich noch daran gewöhnen, denn es gab in den nächsten Wochen nichts anderes.
Nach dem Essen führte ihn Hassan in einen kleinen Anbau. Da standen ein rostiges Fahrrad, Lampen und Sachen, die Emil nicht so schnell unterbringen konnte.
Hassan erklärte stolz: „Alles vom Zoll – ich verkaufen.“
Dann schob er das Gerümpel mit dem Fuß bei Seite. „Du hier schlafen.“
Die Zeit schlich dahin. Am Tage war es unerträglich heiß. Und nachts fror Emil unter der Decke, die Rhea ihm gegeben hatte. Immer wieder ging er zum Zoll und betrachtete sein schönes Auto durch das Gitter. Nach und nach bedeckte eine dicke Sandschicht den blauen Metalliclack. Das so entstandene neue Modell wirkte wie ein fremdartiges Kunstwerk aus Sand. - Manchmal sah Emil den Offizier. Doch der schüttelte nur abweisend den Kopf.
Rhea war immer freundlich, wusch Emils Sachen und gab ihm Wasser, so oft er es wünschte. Er langweilte sich und bot Rhea eines Tages an, Wasser vom Brunnen zu holen. Doch Rhea schlug die Hände über dem Kopf zusammen und lachte. Kein Mann würde hier zum Brunnen gehen.
Allmählich lernte Emil ein paar Worte ihrer Sprache. Er schlich die staubigen Wege entlang und beobachtete die Menschen. Oft sah er Männer auf dem Boden hocken, rauchen und heftig diskutieren. Anscheinend arbeitete hier niemand richtig. Auch Hassan saß ja die meiste Zeit nur herum.
Aber wer würde denn freiwillig bei dieser sengenden Hitze auch nur einen Finger krumm machen.
 
Und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Der Kerl mit dem Stempel war aus der Hauptstadt angereist. Emil bekam alle Papiere zurück. Und Hassan präsentierte wie selbstverständlich einen Käufer.
Emil bekam weit über 10.000 Dollar. Der Käufer bestellte sofort ein zweites Auto, aber bitte größer und mehr PS.
Emil gab Hassan 500 Dollar ab. Ein zerbeultes Taxi ohne Fahrertür brachte ihn zu Rhea. Er verabschiedete sich, drückte ihr auch ein paar Dollar in die Hand und holte seine Tasche.
Dann zeigte der irre Fahrer, was er drauf hatte und raste in einem Höllentempo über Sand- und Schotterpisten zum Flugplatz. Auf dem sandigen Rollfeld wartete schon eine alt­modische Propellermaschine auf die Startgenehmigung nach Laayoune.
Emil hätte am liebsten vor Freude geheult, weil er dieses armselige, öde Land endlich verlassen durfte. Das Geld trug er in einem Beutel am Körper. Er sah zwar nicht gerade wohlhabend aus. Aber man konnte ja nicht wissen.
Von Laayoune flog eine Maschine zurück nach Las Palmas. Die paar Stunden Aufenthalt konnten ihn jetzt nicht mehr schrecken.
 
Knud und Elsa hatten nicht damit gerechnet, Emil noch einmal zu sehen. Hier kamen so viele Deutsche an und verschwanden nach einiger Zeit – und niemand wusste wohin.
Doch Emil hielt es nicht auf der Insel. Jetzt lockte ein weit größerer Deal. Er wollte dem Typ in Mauretanien noch ein Auto liefern. Der Kerl zahlte schließlich bar auf die Hand. Inzwischen kannte er sich in dem Land auch aus. Er würde eben für genügend Proviant und warme Klamotten für die Nacht sorgen.
Mit dem nächsten Flugzeug ging es zurück nach Hamburg. Ein Kumpel von früher ließ ihn auf dem Sofa schlafen. Sofort nahm er sich die Zeitungen vor. Am Samstag sollte ein großer Automarkt stattfinden - von Privat an Privat - genau das Richtige.
Emil begutachtete die angebotenen Wagen mit Kennermiene. Es dauerte nicht lange und er fand genau das richtige Modell. Der Preis von 20 Mille war ein Witz für so ein Geschoß.
Die Typen drängelten, er müsste sich schnell entscheiden. Es gäbe noch genug andere Interessenten, die auf die Karre heiß wären.
Emil prüfte die Papiere. Alles schien sauber. Er zahlte und setzte sich hinter das Lenkrad. Der Motor schnurrte. Emil konnte sein Glück kaum fassen.
Er hätte wissen müssen, dass bei so einem Superdeal meistens etwas faul ist. Er kam nämlich nicht weit.
Als er vom Parkplatz auf die Straße fuhr, hielten ihn ein paar Bullen an. „Zeigen Sie mal Ihre Papiere.“
Er musste aussteigen. Die Polizisten untersuchten den Schlitten. Einer holte sein Handy raus.
Dann sagte er zu Emil. „Kommen Sie mit zur Wache. Der Wagen wurde gestohlen gemeldet.“
Emil schrie: „Und meine Kohle? 20 Mille habe ich dafür hingeblättert!“
„Das Geld können Sie vergessen! Gestohlene Ware wird beschlagnahmt.“
Emil durfte noch froh sein, dass man ihm seine Story glaubte und ihn nicht als Dieb einbuchten wollte.